Bericht von einer Veranstaltung der Bürgerinitiative
Gute Nachbarschaft mit Russland
„Das sowjetische Jahrhundert“ – Karl Schlögels „Archäologie einer untergegangenen Welt“
Verlag C. H. Beck München 2017
Vorgestellt und gelesen von Prof. Kinner und Frau Dr. Wohlfeld
von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Leipzig.
am 15. Februar 2018 im Café Yellow Haus Steinstraße 18.
Die Besucher der gut besuchten Veranstaltung erlebten die Vorstellung eines interessanten Buches, das eine emotionale und trotzdem sachliche Debatte auslöste.
„Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel lädt mit seiner Archäologie des Kommunismus zu einer Neuvermessung der sowjetischen Welt ein. Wir wussten immer schon viel darüber, wie „das System“ funktioniert, weit weniger über die Routinen des Lebens in außergewöhnlichen Zeiten. Aber jedes Imperium hat seinen Sound, seinen Duft, seinen Rhythmus, der auch dann noch fortlebt, wenn das Reich aufgehört hat zu existieren. So entsteht, hundert Jahre nach der Revolution von 1917 und ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion, das Panorama eines einzigartigen Imperiums, ohne das wir „die Zeit danach“, in der wir heute leben, nicht verstehen können.
Karl Schlögel ist dabei, wenn die Megabauten des Kommunismus eingeweiht und die Massengräber des Stalin’schen Terrors freigelegt werden. Er interessiert sich für Paraden der Macht ebenso sehr wie für die Rituale des Alltags, er erkundet die Weite des Eisenbahnlandes
und die Enge der Gemeinschaftswohnung, in der Generationen von Sowjetmenschen ihr Leben zubrachten. Die Orte des Glücks und der kleinen Freiheit fehlen nicht: der Kulturpark, die Datscha, die Ferien an der Roten Riviera. In allem – ob im Mobiliar, im Duft des Parfums
oder der Stimme des Radiosprechers – hat das „Zeitalter der Extreme“ seine Spur hinterlassen.“
Aus dem Kulturmagazin >Perlentaucher< vom 10.10.17
Viele Besucher hatten das dicke Buch noch nicht in die Hand nehmen, geschweige lesen können und waren deshalb besonders gespannt auf seine Vorstellung. Zugänglich sind jedoch zahlreiche Besprechungen in den Medien, aus denen eine als Kurzvorstellung diesem Bericht vorangestellt wurde. Eine große Rolle spielten bei den Beteiligten an der Diskussion die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen mit den Menschen und Institutionen der SU.
Viele überraschte, dass die Auswahl der Themen durch die Vortragenden so getroffen worden war, dass der Eindruck eines Staates entstand, den man aus heutiger Sicht eigentlich nur verabscheuen und verurteilen kann. Relativiert wurde das zwar durch die nachträgliche Erklärung von Prof. Kinner, dass der Blick des Autors auf die SU ganz und gar ein differenzierender sei und Denunziation nicht stattfände. So mancher wird sich gefragt haben, warum dann diese Auswahl, die die SU auf einen übelriechenden, zänkischen (Kommunalki), unhygieenischen, (Toilettendebatte!) und natürlich auf die stalinschen und institutionellen Verbrechen reduzierte? Findet man doch selbst unter den besonders Wohlwollenden gegenüber der SU nur noch wenige, denen man mit drastischen Mitteln die Augen öffnen müsste.
Von 1917 bis 1935 war die SU ein Land, auf das sich berechtigt große Hoffnungen der Benachteiligten und Ausgebeuteten der ganzen Welt richteten. Die Befreiung Europas vom Faschismus ist ohne die SU schwer vorstellbar. Auch seit 1956 mit dem XX. Parteitag der KPDSU von Chruschtschow eine Aufarbeitung der Stalinzeit versucht wurde, bis zu jenem historischen Moment, wo Gorbatschow das Scheitern
des Konstruktes SU eingestehen musste, gab es sehr unterschiedliche Phasen, die eine differenzierte - eine dialektische, sollte man besser im Marxjahr 2018 dazu sagen - Betrachtung verdienen.
Die objektiven Widersprüche in der Sache und die herausgeforderten Emotionen führten zu einer lebhaften und produktiven Diskussion. Vielleicht war es gerade deswegen ein Gewinn für alle. Buch, Vortrag und Diskussion zusammen regten an, in mancherlei Richtungen neu und gründlicher nachzudenken.
Eine spannende und gute Veranstaltung der Bürgerinitiative, der am 15 März,18.00 h im Haus Steinstraße 18 eine weitere folgt, die mit Sicherheit ähnlich kontroverse Diskussionen auslösen wird. Der Autor und Journalist Viktor Timtschenko wird die Bücher >Eiszeit< von Krone-Schmalz und >Generation Putin – Russland verstehen< von Benjamin Bidder im Rahmen eines Vortrages, den er >Generation Putin in der Eiszeit< nannte, vorstellen.
Joh. Schroth
27.2.18